Aus meinem Atelier - Eine Henne legt ein Ei

Aus meinem Atelier

Eine Henne legt ein Ei

 

Als ich ein kleines Kind war wohnten wir neben Tante Else, ihrer Familie und ihrem Bauernhof. Dort gab es auch Hühner.

Mit meiner Mutter habe ich immer viel gezeichnet und gemalt. Sie hat dann auch den Titel und das Datum auf die Blätter geschrieben. Diese Zeichnung habe ich mit drei Jahren gemacht. Sie heißt: Eine Henne legt ein Ei.

 

Zu Studienzeiten im Design- und Künstlerbereich wird von den Dozenten gerne die Geschichte vom Kaiser, dem Künstler und dem Hahn erzählt. Ich will sie mal mit eigenen Worten wiedergeben:

 

Eines Tages bat der chinesische Kaiser den berühmten Künstler um des Bild eines Hahns. Der Künstler nahm den Auftrag an und verlangte eine hohe Summe, die ihm gewährt wurde. Der Künstler versprach, die Zeichnung in einem Jahr fertig zu haben. Der Kaiser war erstaunt, dass es so lange dauern sollte.

 

Der Künstler ging in sein Haus zurück und begann Hähne zu zeichnen und zu malen. Nach einem Jahr kam des Kaisers Gefolge zum Haus des Künstlers, doch dieser schickte sie weg, es würde noch ein zweites Jahr dauern und auch beim nächsten Mal vertröstete er sie. Nach Ablauf des dritten Jahres dann kam der Kaiser persönlich zum Künstler und war sehr aufgebracht. Der Künstler teilte ihm mit, er wäre nun fertig und zeigte ihm die Zeichnung. Darauf konnte man einen Hahn sehen, der mit nur wenigen Strichen gezeichnet war.

 

Der Kaiser war sehr erbost und konnte nicht verstehen, wieso der Künstler für die wenigen Striche so lange gebraucht hatte. Da führte ihn der Künstler in sein Atelier, das voll war mit unzähligen Zeichnungen von Hähnen. Es habe so lange gedauert, weil er viele Studien gemacht habe, um zum Kern, der vereinfachten Darstellung des Tieres zu gelangen. Der Kaiser verstand und überreichte dem Künstler einen prall gefüllten Beutel mit Gold.

 

Und das ist die Meisterschaft. Es geht nicht darum, alles zu malen, sondern das Wesentliche. Erst übt man zeichnen, dann kann man irgendwann abstrahieren und wer kann und mag, geht dann auch noch in die Abstraktion über. Genauso ist es beim Schreiben, da schreibt man immer wieder um, bis es besser ist und auch beim Reden kann es ganz nützlich sein, von Zeit zu Zeit auf den Punkt zu kommen.

 

Und nun schau Dir die Henne an. Abstrahiert mit wenigen Strichen, sogar das Ei ist da, wohin es gehört. Man kann das Huhn sogar gackern hören. Ich finde, der Kaiser könnte jetzt mit seinem Goldsäckel vorbei kommen.

 

Viele Grüße

Katja